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Sonntag, 23. August 2015

Das Individuum ist die Grenze der Vernunft.


Der Zweck wird uns in der Aufforderung gegeben, also die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären - [dies] ist das wichtigste Resultat, es besteht nur im Ganzen durchs Ganze und als Teil des Ganzen. Denn wie soll sonst Kenntnis eines Vernunftwesens außer ihm zu erklären sein, wenn in ihm kein Mangel ist? 

Dies ist so dargetan worden: Wir haben uns Mühe gegeben, den Zweckbegriff zu erklären, da kamen wir in einen Zirkel; nun aber ist sie beantwortet, denn im Fortlaufe der Vernunft ists damit nicht schwer, es ist nur darum zu tun, den ersten Zweckbegriff dar-/zulegen; den ersten aber bekommen wir, doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der Form nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können. (Vide in der Rechtslehre Folgerungen daraus.) 

Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf ein erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 177f.


Nota. - Wieso aber sollte man das Individuum in und aus der Transzendentalphilosophie erklären wollen? Die Transzendentalphilosophie beschäftigt sich mit dem, was an den Individuen Ichheit ist. Außer Ichheit sind sie auch noch Leib, Stoffwechsel, Leidenschaft und vieles mehr. Reicht das nicht aus, um aus abstrakten Vernunft- wesen lebendige Individuen zu machen? 

Es ist wahr, in einem großen Quantum - um im Bilde zu bleiben - von Leib, Stoffwechsel und gar Leidenschaft hat Vernunft nichts zu suchen, es sei denn als ihre Grenze. Und eben darum sind die wirklichen Menschen in der 'Reihe vernünftiger Wesen' unaustauschbare Individuen. Denn historisch ist es ja andersrum: Leib, Stoff- wechsel und Leidenschaften verfolgen vor jeder Vernunft in der sinnlichen Welt ihre Zwecke ohne allen Be- griff. Vernunft und die Erfordernis, ihre Zwecke in Begriffe zu fassen, ergeben sich erst daraus, dass sich in der sinnlichen Welt ihre Wege kreuzen und schon immer gekreuzt haben. Die individuelle Vernunft entsteht dar- aus, dass das sinnliche Individuum von der Reihe der andern freien Wesen zur Vernunft aufgefordert wird; aufgefordert wird, seine Freiheit gegen seine Sinnlichkeit geltend zu machen. Die Individualität ist in der Welt das, was am wenigsten der Erklärung bedarf.

Dass er in der Wissenschaftslehre ein "noch höheres unbegreifliches Wesen" unterbringen will, ist im Übrigen aus dem längst ausgebrochenen Atheismusstreit zu erklären; biographisch, aber nicht logisch.

Nota II. - Obiges ist der Kommentar von einem, der noch nicht weit genug in die Wissenschaftslehre eingedrungen war. Auch das Individuum ist in der Wissenschaftslehre nicht das, was in Biologie oder Psychologie so heißt. Es ist vielmehr das bestimmte einzelne vernünftige Wesen in seinem Verhältnis – und Gegensatz – zu den anderen vernünftigen Wesen. Was nicht zu seiner Vernünftigkeit gehört – Sinnlichkeit, Leidenschaft, Irrtum – , kommt noch nicht in Betracht.

Individuum im Sinne der Wissenschaftslehre ist derjenige, der auf dem Weg der Bestimmung seines Wollens in der Reihe all der andern vernünftigen Individuen schon ein gewisses Stück zurückgelegt hat. 

Und genau besehen ist vernünftig überhaupt erst seine Wechselwirkung mit jenen.
JE im Feb. 2016



Montag, 8. Oktober 2018

Meine Welt gehört selber in die Transzendentalphilosophie.


Unlängst schrieb ich, die Unterscheidung von meiner Welt und unserer Welt gehöre zur Transzendentalphilo- sophie als ihre Grenze. 

Das war ebenso zaghaft wie voreilig. Meine Welt gehört selber und ganz und gar in die Transzendentalphiloso- phie.

*

Das von der Einbildungskraft Hervorgebrachte, von der Vorstellung Angeschaute, im Begriff Gemeinte ist Bild.

Als Bild ist es nicht von unserer Welt. An ihm werde ich nicht wir-Vernunftwesen, sondern Ich. Das ist meine Welt. Vernunft und unsere Welt beginnen da, wo das Gemeinte vergemeinschaftet, nämlich mitgeteilt werden kann. Das kann erst im Begriff geschehen. Im Begriff im weitesten Sinn, von System und systematischer Veror- tung ist noch nicht die Rede, aber von Symbolisierung immerhin.

Das Symbol ist selber 'auch ein Bild', aber das Bild von einem Bild; ein vorgegebenes Schema, das der Meinende nach einvernehmlichem Verfahren zu füllen hat – mit dem nun mutmaßlich miteinander-geteilten Bild. Wenn ich sage rot, darf ich annehmen, dass mein Zuhörer dieselbe Vorstellung in sich hervorbringt, die ich hervor- gebracht habe, als ich rot dachte. Annehmen darf ich es, weil die Erfahrung lehrt, dass wir uns auch sonst ver- ständigen können; warum also nicht dieses Mal? Aber ob oder ob nicht, kann ich nicht wissen, und den andern zum richtig-Vorstellen zwingen kann ich schon gar nicht; denn ich kann es ja nicht überprüfen.

Einbilden, anschauen und vorstellen liegen in meiner Welt. Unsere Welt beginnt erst bei den Begriffen. Dass sie in der Sprache der Begriffe zu mir reden, macht die 'Aufforderung' der 'vernünftigen Wesen' aus, die mich allein erst zur Vernünftigkeit veranlasst. Denn wozu könnte ich sie ohne jene gebrauchen?

28. 5. 15

Nochmal genauer: der Begriff von meiner Welt und unserer Welt gehört in die Anhropologie. Er ist empirisch gewonnen an der Anschauung. Im wirklichen Leben unterscheiden wir zwischen Irrsinn und gesundem Men- schenverstand. Letzterer ist die Vernunft, welche der Ausgangspunkt und Gegenstand der Transzendentalphilo- sophie ist. Deren Weg ist der kritische Regress. Sie kommt an einen Pukt, wo es nicht weitergeht. Von da an geht sie denselben Weg zurück und rekonstruiert in toto die Vernunft: unsere Welt, die der 'Reihe vernünftiger Wesen'. Das alles geschieht in der Vorstellung; der Grund der Rekonstruktion ist rein noumenal.

Es ist eine immanente Darstellung. 

Die Transzendentalphilosophie beginnt nicht mit der Bestimmung: "Vernunft ist: (dieses oder jenes)." Das wäre eine transzendente oder dogmatische Setzung. Angenommen, man wolle so etwas: Dann müsste man Vernunft bestimmen durch Entgegensetzung; zum Beispiel von Irrsinn (aller Art). Es wäre eine Entgegensetzung an einem Unbestimmten - das aber (transzendent, dogmatisch) zuvor gesetzt werden musste. Dies zu-Bestimmende wäre meine Welt. 

Setzen und bestimmen meiner Welt wären allerdings Sache eines außenstehenden Zuschauers aus unserer Welt. Selbstbestimmen oder gar Selbersetzen wären gar nicht möglich.  

'Das, was' das kritische Verfahren der Transzendentalphilosophie schließlich am Grunde der Genesis der Ver- nunft als Noumenon auffindet, ist 'dasselbe', was der Anthropologe phänomenal als meine Welt bezeichnen wird. Was ich bei dem einen seine Unbestimmtheit nenne, kommt mir bei der andern als ihr Schweben vor.





Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  JE

Dienstag, 31. März 2015

Die 'Reihe vernünftiger Wesen' ist dem Individuum als eine Aufforderung vorgegeben.


Lothar Sauer

Dieser Begriff der Selbstheit als Person ist nicht möglich ohne Begriff von einer Vernunft außer uns; dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren, weiteren Sphäre. Die erste Vorstel-lung, die ich haben kann, ist sie Aufforderung meiner als Individuum zu einem freien Wollen.

Dies ist eine Erkenntnis, wie wir sie suchten, in welcher das Wollen gleich drinnen läge, mit ihrer Erkenntnis ist ein Wille begleitet. Sinnlich betrachtet ist es so: Entweder ich handle nach dem Willen oder nicht; habe ich die Aufforderung verstanden, so entschließe ich mich doch durch Selbstbestimmung, nicht zu handeln, der Auf-forderung zu widerstreben, und handle durch Nicht-Handeln.

Freilich muss die Aufforderung verstanden sein, dann muss man aber handeln, auch wenn man ihr nicht ge-horcht, in jedem Falle äußere ich meine Freiheit. So müssen wir's uns jetzt denken. Aber man kann höher fra-gen: Welches ist der transzendentale Grund dieser Behauptung? Der Zweck wird uns mit der Aufforderung gegeben, also die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären, [das ist] das wichtigste Resultat, es besteht nur im Ganzen durchs Ganze und als Teil des Ganzen; denn wie soll sonst Kenntnis eines Vernunft-wesens außer ihm zu erklären [sein,] wenn in ihm keine Mangel ist?

Wir haben uns die Mühe gegeben, den Zweckbegriff zu erklären, da kamen wir in einen Zirkel. Nun aber ist sie beantwortet, denn im Fortlaufe der Vernunft ists damit nicht schwer, es ist nur darum zu tun, den ersten Zweckbegriff dar-/zulegen. Den ersten aber bekommen wir, doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der Form nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können. ... Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf ein erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 177f.

Nota I. -
Wieso aber sollte man das Individuum in und aus der Transzendentalphilosophie erklären wollen? Die Transzendentalphilosophie beschäftigt sich mit dem, was an den Individuen Ichheit ist. Außer Ichheit sind sie auch noch Leib, Stoffwechsel, Leidenschaft und vieles mehr. Reicht das nicht aus, um aus abstrakten Vernunft-wesen lebendige Individuen zu machen?


Es ist wahr, in einem großen Quantum - um im Bilde zu bleiben - von Leib, Stoffwechsel und gar Leiden-schaft hat Vernunft nichts zu suchen, es sei denn als ihre Grenze. Und eben darum sind die wirklichen Men-schen in der 'Reihe vernünftiger Wesen' unaustauschbare Individuen. Denn historisch ist es ja andersrum: Leib, Stoffwechsel und Leidenschaften verfolgen vor jeder Vernunft in der sinnlichen Welt ihre Zwecke ohne allen Begriff. Vernunft und die Erfordernis, ihre Zwecke in Begriffe zu fassen, ergeben sich erst daraus, dass sich in der sinnlichen Welt ihre Wege kreuzen und schon immer gekreuzt haben. Die individuelle Vernunft entsteht daraus, dass das sinnliche Individuum von der Reihe der andern freien Wesen zur Vernunft aufgefordert wird; aufgefordert wird, seine Freiheit gegen seine Sinnlichkeit geltend zu machen. Die Individualität ist in der Welt das, was am wenigsten der Erklärung bedarf.

Dass er in der Wissenschaftslehre ein "noch höheres unbegreifliches Wesen" unterbringen will, ist im Übrigen aus dem längst ausgebrochenen Atheismusstreit zu erklären; biographisch, aber nicht logisch.


Nota II.- Das höhere Wesen, das man "annehmen" muss, ist eine bürgerliche Gesellschaft von (zumindest dem Begriff nach) Freien und Gleichen, nämlich Marktsubjekten, und die ist nicht unbegreiflich, sondern, da sie hi-storisch gegeben ist, auch in ihrer tatsächlichen Entstehung beobachtbar. Sie ist die a priori vorausgesetzte Ver-nünftigkeit, die den empirischen Personen als eine Aufforderung begegnet.
JE




Nota III.   Nota I. ist der Kommentar von einem, der in die Wissenschaftslehre noch nicht weit genug eingedrungen war.   Auch das Individuum ist in der Wissenschaftslehre nicht das, was in Biologie oder Psychologie so heißt. Es ist vielmehr das bestimmte einzelne vernünftige Wesen in seinem Verhältnis – und Gegensatz – zu den anderen vernünftigen Wesen. Was nicht zu seiner Vernünftigkeit gehört – Sinnlichkeit, Leidenschaft, Irrtum – , kommt noch nicht in Betracht.

Individuum im Sinne der Wissenschaftslehre ist derjenige, der auf dem Weg der Bestimmung seines Wollens in der Reihe all der andern vernünftigen Individuen schon ein gewisses Stück zurückgelegt hat. 

Und genau besehen ist vernünftig überhaupt erst seine Wechselwirkung mit jenen. 
JE, im Februar 2016



Freitag, 1. Juni 2018

Ein absoluter Anfang ohne Grund.

nach Dalí

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst habend, die Handlung dieser Tätigkeit heißt darum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten eingeteilt. ... 

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit; wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man erblickte. Jeder wird sehen: es gibt keine Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit; es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. ...

Die Tätigkeit, die sich darin äußert, soll heißen reale Tätigkeit; der Akt, durch welchen er sich äußert, ein prak- tischer; das Feld, worin er sich äußert, das praktische, diesem Akte haben wir zugesehen und sehen ihm noch zu. Die Tätigkeit, womit dies geschieht, soll heißen ideale Tätigkeit.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 46f.


Nota. - Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals ausdrücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund. 

Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und eo ipso als dogmatisch ver- worfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

*

Die Aufgabe, die die Wissenschaftslehre sich gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu erklären; nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants koperni- kanischer Wende versucht. 

Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Faktum der Vernunft zu er- klären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht be- haupten, denn dazu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'. Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzendentalphilophie.

*

Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereitschaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er genau das getan: der Vernunft entraten.
JE


 

Freitag, 18. Januar 2019

Der Stoff ist ein Produkt der Einbildungkraft.


Endlich - das Vernunftwesen kann sich nicht wirkend setzen, ohne sich zugleich vorstellend zu setzen, es kann sich nicht setzen als wirkend auf ein bestimmtes Objekt, ohne sich dieses Objekt immerfort vorzustellen; es kann keine bestimmte Wirkung als vollendet setzen, ohne das Objekt, auf welches sie gegangen, zu setzen. Nämlich, da das Objekt gesetzt wird als die Wirksamkeit vernichtend, aber die Wirksamkeit doch neben dem Objekt bestehen soll, so entsteht / hier ein Widerspruch, der sich nur durch ein Schweben der Einbildungs- kraft zwischen beiden, wodurch eine Zeit entsteht,* vermitteln lässt. Die Wirksamkeit auf das Objekt geschieht daher sukzesssiv in der Zeit.

Wird nun auf ein und dasselbe Objekt gewirkt und sonach die Wirksamkeit in jedem gegenwärtigen Momente betrachtet als bedingt durch den vorhergehenden und mittelbar durch die in allen vorhergehenden Momenten: so wird er Zustand des Objekts ebenfalls betrachtet als bedingt durch den in allen vorhergehenden Momenten, von der ersten Kenntnis des Objekts an; und so bleibt das Objekt dasselbe, ohnerachtet es unaufhörlich verän- dert wird; nämlich das durch die Einbildungskraft hervorgebrachte Substrat, um in demselben das Mannigfalti- ge zu verknüpfen. Die Unterlage der unaufhörlich sich ausschließenden Akzidenzen, welche man den bloßen Stoff nennt, bleibt dieselbe.

Daher kommt es, dass wir uns nur setzen können als verändernd die Form der Dinge, keinesfalls aber den Stoff; dass wir uns wohl des Vermögens bewusst sind, die Gestalten der Dinge ins Unendliche zu verändern, aber des Unvermögens, dieselben hervorzubringen oder zu vernichten, und dass die Materie für uns weder vermehrt noch vermindert werden kann; und auf diesem Gesichtspunkte des gemeinen Bewusstseins, keines- wegs aber auf dem der tranzendentalen Philosophie, ist uns ursprünglich ein Stoff gegeben.**

*) Man kann hierüber nachlesen Jacobi, Gespräch über Idealismus und Realismus, wo einleuchtend nachgeweisen wird, dass Zeitvorstellungen, die an sich dem reinen Begriff der Kausalität widersprechen, nur aus der Vor- stellung unserer eigenen Wirksamkeit auf die Dinge auf ihn [den reinen Begriff der Kausalität] übertragen werden.

**) Eine Philosophie, die von den Tatsachen des Bewusstseins, dem, was man findet, wenn man das Ich bloß als das Behandelte ansieht, ausgeht, kann über jene Grenze, wo ein Stoff gegeben ist, nicht hinausgehen, und ver- fährt sonach völlig konsequent, wenn sie jenen Satz aufstellt.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 28f.



Nota. - Das ist ja wahr: In der Anschauung ist ein wirklicher Gegenstand stets nur in einem jeweiligen veränder- lichen Zustand sichtbar. Ein 'Träger', an dem diese Zustände nacheinander vorkommen, sehen wir nicht. Den müssen wir uns schon hinzu vorstellen: durch Einbildungskraft. Aber völlig aus der Luft gegriffen ohne eine Berührung mit dem Sinnlichen ist er nicht: In ihm ist dasjenige dargestellt, was am Objket das Objektive ist: seine ganz unbestimmte, unendlich bestimmare Widerständigkeit gegen alle meine Tätigkeiten. Sie ist das einzi- ge Sinnliche, das in der Transzendentalphilosophie vorkommt - und sie in der Welt verankert.
JE




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Samstag, 2. Mai 2015

Die Unterscheidung von unserer Welt und meiner Welt gehört doch in die Transzendentalphilosophie.



Habe ich den Wald vor Bäumen nicht gesehen? Ist es trivialer, als ich dachte? Wollte er mit der Einführung der Begierde nur dem Umstand Rechnung tragen, dass das 'endliche' Vernunftwesen eben nicht nur vernünftig ist, sondern auch leidenschaftlich? Dass es Neigungen, Vorlieben und Begehrlichkeiten kennt, von denen die Vernunft nichts weiß? Kurz, dass die Vernünftigkeit der Menschen nicht nur endlich, sondern sogar begrenzt ist, dass sie zu Unserer Welt gehört und in der Meinen schlicht und einfach nichts zu sagen weiß?

In ästhetischen Angelegenheiten wie in allen Geschmacksdingen ist für Vernunfturteile kein Platz. So auch nicht in moralischen, denn Moralität ist nichts als "sittlicher Geschmack", wie Herbart* treffend formulierte. (Und übrigens auch nicht in erotischen). Ein Feld der Vernunft ist allerdings das Recht, und auch die Gerech- tigkeit ist nicht bloß Privatsache...

Die scheinbar harmlose Rede von den 'endlichen' Vernunftwesen ist aber tückisch. Es ist richtig, dass es keinen logisch hinreichenden Grund gibt, ein unendliches Vernunftwesen für unmöglich zu halten. Es reicht aber, wenn das einmal gesagt wird. Die ständige Wiederholung lässt indes die Nichtunmöglichkeit wie eine Wahr- scheinlichkeit oder gar eine Denknotwendigkeit erscheinen. Und da mag man heimlich im Hinterkopf mit der Idee einer unendlichen Vernunft spielen. Nicht "frag dich, was würde Jesus tun", sondern frag dich, wie würde eine unendliche Vernunft an deiner Stelle urteilen? Und plötzlich hat die Vernunft (im Hinterkopf) keine Grenze mehr: Was ich - ohne den Richtspruch der Vernunft einzuholen - darf, erscheint nun als das, was sie lediglich (noch?) nicht verboten hat.

- Das sind nun Mutmaßungen, die am Buchstaben des Textes nicht nachzuweisen sind. Aber aus der Luft gegriffen sind sie nicht. Tatsächlich geht Fichte von der Allzuständigkeit der Vernunft aus, oder richtiger: geht auf sie aus. Dass aus dem Totalitarismus des Vernunftzwecks durch eine Art logischer Rückkoppelung ein Totalitarismus des Vernunftgrundes wird, liegt nahe. Es wäre eine dogmatische Wendung des Transzendental- philosophen, doch die sollte Fichte schon kurze Zeit nach Abschluss der Wissenschaftslehre nova methodo aus- drücklich vollziehen.

*

Von einer unendlichen Vernunft kann ein endlich Vernünftiger nichts wissen - und folglich nicht vernünftig darüber nachdenken. Die 'endliche' Vernunft ist jedenfalls eine begrenzte, nämlich in ihrer Zuständigkeit. Ihr Reich ist Unsere Welt, und Unsere Welt ist das Reich der Vernunft. Das Reich der Geschmäcker ist ihr nicht zugänglich.

Das heißt nun nicht, dass Unsere Welt ein Reich des größten Nutzens für die größte Zahl wäre. Wenn wir zwar einander nicht auf das Schöne und das Gute verpflichtet sind, so doch auf das Wahre. Dieses ist zwar selber eine Geschmackssache. Aber die darf ich jedem zumuten, der mit mir in einer Welt leben will: Sie hält mir beide Welten zusammen.

*

Die Unterscheidung von unserer und meiner Welt gehört zur Transzendentalphilosophie, als ihre Grenze.

*) in Allgemeine praktische Philosophie (1808) in: SW Bd. 8, Hamburg 1890, S. 29






Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Montag, 10. Juni 2019

Was folgt auf die vollendete Vernunftkritik?


Fichte sagt am Schluss der Wissenschaftsehre nova methodo zusammenfassend:

Um uns selbst zu finden, müssen wir die Aufgabe denken, uns auf eine gewisse Weise zu beschränken. Diese Aufgabe ist für jedes Individuum eine andere, und dadurch eben wird bestimmt, wer dieses Individuum eigent- lich sei. 

Diese Aufgabe erscheint nicht auf einmal, sondern im Fortgange der Erfahrung analytisch - jedesmal, inwiefern ein Sittengebot an uns ergeht. Aber in dieser Aufforderung liegt zugleiuch, da wir praktische Wesen sind, zu einem praktischen Handeln Aufforderung. Dies ist für jedes Individuum auf besondere Art gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und ist ein ganz besonderes.

Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen. So eine Untersu- chung wird von einem hohen Gesichtspunkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allgemeine gesehn wird. Ich muss handeln, mein Gewissen ist mein Gewissen; insofern ist die Sittenlehre individuell.

So nicht in der allgemeinen Sittenlehre; Wissenschaftslehre des Praktischen, die insbesondere Ethik wird. D. h. das Praktische ist Handeln überhaupt, das Handeln kommt aber durch die Grundlage immerfort vor, indem auf [un- leserliches Wort] der ganze Mechanismus gründet. Daher kann die besondere Wissenschaftslehre des Praktischen nur sein eine Ethik. Diese lehrt, wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll, ihr / Resultat ist Ideal, inwiefern dies Resultat sein kann, da es nicht begriffen werden kann.

Bemerkung: Beides, die theoretische und praktische Philosophie ist Wissenschaftslehre, beide liegen auf dem transzendentalen Gesichtspunkt; erstere, weil ja hier auf das Erkennen gerechnet wird, also auf etwas in uns, und nicht geredet wird von einem Sein; letztere, weil überhaupt gar nicht das Ich, das Individuum betrachtet wird, sondern die Vernunft überhaupt in ihrer Individualität. Die erstere Lehre ist konkret, die letzte ist die höchste Abstraktion: der des Sinnlichen zu dem reinen Begriffe als einem Motiv. 

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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 241f.



Nota. - Kein anderer Autor hat wie Fichte so regelmäßig während der Darstellung seines Systems auf die Darstel- lung reflektiert. Auf das Verfahren nicht nur, sondern auch auf das, was dargestellt wird, denn um dessen Bestim- mung geht es ja; so dass nie vom Verfahren des Bestimmens allein, sondern immer auch von dem je Bestimmten die Rede ist.

Dies kam mit § 19 zu einem Schluss: Was heißt Wissen und was ist das, was wir wissen können?


Idealerweise müssten von da aus alle reellen Wissenschaften neu aufgebaut werden: "Weltlehre", nämlich Physik und Biologie (wobei Chemie noch keine eigenes Fach ist). Das nennt Fichte 'Theoretische Philosophie', er rech- net sie offenbar zur Besonderen Wissenschaftslehre hinzu. Warum? Weil sie 'aufstellt, was notwendig Erfahrung ist und sein kann'.

Die wirklichen Wissenschaften können aber nicht von vorn anfangen. Neues empirisches Material fällt täglich an, es muss dem Wissensschatz an dem Punkt einverleibt werden, an dem er sich eben befindet - mit den Methoden, die neuestens verfügbat sind, und das geschieht unter aller Augen im Streit. Die Wissenschaftslehre wird sie bes- tenfalls auf Schritt und Tritt kritisch begleiten: dass sie ihre Begriffe nicht aus der Luft greifen und nicht für Er- fahrung ausgeben, was doch als Prämisse unterstellt wurde. Und wird sie stets anhalten, auszuscheiden, was an dogmatischem Bodensatz mitgeschleppt wurde.

Dann freilich hieße es die kritische Philosophie überdehnen, wollte man sie in die Realwissenschaften hinein- treiben und selber positiv werden lassen. Sie kann nicht selber Realwissenschaft werden und muss deren Propä- deutik und kritische Instanz bleiben.

Das sieht Fichte offenbar ganz anders; wie offenbar auch Kant, bei dessen Opus postumum es sich doch wohl um den Versuch handelte, die zeitgenössische (Newton'sche) Physik in den Ergebnissen der Transzendentalphiloso- phie zu gründen. Recht und Sittenlehre hatte F. selbst ja bereits aus der Wissenschaftslehre abgeleitet, bevor er diese nova methodo vorzutragen begonnen hat. Beim Naturrecht haben wir bereits gesehen, wie der Versuch, die Vernunftkritik in positives Wissen hinüberzumodeln, in die Irre führt. Sobald die Kritik den Rechtsbegriff etabliert hat, mag der kritische Philosoph sich im Lichte dieses seines Begiffs am politischen Tageskampf um das gelten-sollende Recht seiner Zeit beteiligen. 

An obiger Stelle erklärt er stattdessen die Absicht, eine ideale Welt zu entwerfen, die indessen gar nicht begreif- lich wäre. Sie ist nicht begreiflich, daher lässt sie sich auch nicht in einzelne Schritte zerlegen, die auf einander aufbauen und den großen Vorteil böten, praktisch unternommen werden zu können. Das Ideal lässt sich dagegen nur in sonntäglichen Weihestunden beschwören.

Und doch hat Fichte seinen Plan einer idealen Welt alsbald zu einem praktikablen ersten Schritt konkretisiert. Sein Geschlossener Handelsstaat sollte ein Durchgangsstadium zu einem vernunftmäßig eingerichteten Gemeinwesen sein. Aber wer ihn einrichten und mit welchen Übergangsmaßnahmen er eingeleitet werden könne, hat er nicht hinzugeschrieben. Er hat kein politisches Programm formuliert, sondern ein gelehrte Abhandlung geschrieben, die auch unter den Gelehrten kaum Beachtung fand.

Noch weniger als die Wissenschaft lässt Geschichte sich nochmal von vorne anfangen. 

*

Nachdem ich so weit gekommen bin, kann ich endlich den Punkt berühren, um den des mir hier eigentlich geht: Wenn es denn möglich wäre, Staat und Gesellschaft nach einem idealen Vernunftplan einzurichten, so wäre die Rechtslehre und keine 'allgemeine' Sittenlehre seine Grundlage. Denn in der Tat gründet die Rechtslehre und erst recht das Recht auf der Vernunft. Sittlichkeit liegt der Vernunft voraus als Teilbereich des Ästhetischen, und daher lässt sie sich weder verbegrifflichen noch diskursivieren.

Vernünftig ist, was der Bestimmung nach in die Wechselwirkung der Reihe vernünftiger Wesen eingeht, und da- her ist es intelligibel. Die je einzelnen Richtsprüche meines Gewissens gehören nicht dazu; intelligibel sind sie weder mir noch sonstwem. Intelligibel sind Bestimmungen; meine Gewissensentscheidungen werden mir zuteil, ich weiß nicht wie noch von wem noch wozu. Das weist sie aus als Teilhaber des Ästhetischen.

So wenig wie eine Allgemeine Ästhetik kann es eine allgemeine Sittenlehre geben. Hier wird die Anschauung selbst gewertet, prädiziert, das individuelle Ich ist hinter sich zurückgetreten und sieht von sich ab, nämlich sofern es Zwecke setzen könnte, die mit Zwecken Anderer zu vermitteln wären. Das sittliche Urteil ist, wie das ästhetische, singulär und steht allein für sich und wird um seiner selbst willen gefällt. Es ist ohne Gründe und ohne alle Vernunft. Ein Glück nur, dass ich es vor niemandem verantworten muss; ich wüsste ja nicht, wie. Denn ich war nicht tätig und bei mir, sondern fühlte mich empfangend und außer mir. Ich hätte mich schon sträuben müssen, aber das konnte ich vor mir nicht verantworten.

*

Wie kann es sein, dass Fichte bei alle seiner methodischen Pedanterie sich so verirrt hat? Über Motive - Tem- perament, Geltungswille, Wirkenwollen - ließe sich nur mutmaßen. Aber die Gründe, die es möglich gemacht haben, müssen sich in seinem Denken auffinden lassen. Und lassen sich auffinden - es ist sein beständiges Schwanken zwischen einer kritischen und einer dogmatischen Auffassung von Vernunft.


Die kritische Vernunftauffassung zieht der Transzendentalphilosophie eine klare Grenze. Sie geht nicht weiter, als ihre Gründe tragen. Ausgegangen war sie von der historischen Gegebenheit eines Vernunftsystems und wollte klären dessen Woher und dessen Wozu. War das geschehen, hatte sie rückblickend die gegebenen Wissenschaften von dogmatischen Resten zu säubern und ihre aktuellen Fortschritte von dogmatischen Fehlgriffen freizuhalten. Ihre positive Aufgabe war und ist Kritik.


Der dogmatische Vernunftglaube, der an mancher Stelle durch Fichtes Texte geistert, macht solche Bescheidung nicht nötig. Weil er Glaube ist, muss und kann er nicht begründet werden und kann er die Frage nach seiner Reichweite gar nicht stellen. Für ihn ist Vernunft das mystische Urschöne, das in des Schöpfers ureigenem Rat- schluss beschlossen liegt und dessen Glanz soweit reicht wie er.

JE

Freitag, 12. Mai 2017

Der Körper und die Natur.



Ferner: Dieser Körper wird der Freiheit vorausgesetzt, denn er ist ja das Bestimmbare zur Freiheit, welches im Bewusstsein in der Reihe des Denkens immer vorausgeht; eben dadurch wird er zu einem Gefundenen, Gege- benen, zu einem eigentlichen Objekte. So wie das Subjekt handelt, ist dieser Körper da; er ist daher Natur und insbesondere Naturprodukt.

Letzteres bedarf einer Erklärung und eines Beweises: Die Natur ist nach dem Obigen Noumen in einer gewis- sen Rücksicht, und das ist alle Natur, sie ist durch sich selbst gesetzt, sie ist, was sie ist, weil sie es einmal ist, und nur insofern ist sie Natur zu nennen. Man könnte sagen, wie Spinoza sagt: natura naturans, welches sie ist, so gewiss sie Natur ist, bestehend, weil sie besteht. Nur inwiefern sie durch sich selber ist, heißt sie so. Der artikulierte Leib ist Natur, er ist also auf diesem Gesichtspunkt, dem gemeinen Gesichtspunkt, allem Bewusst- sein vorausgesetzt, er ist Teil der Natur, denn außer ihm ist der meinige ja auch da, und Objekte auch, nach dem Obigen.

Dieser Körper ist Natur, Teil der Natur, ist ferner ein bestimmter Teil der Natur, und zwar ein durch sich selber bestimmter besonderer Teil; an Letzterem hängt der Beweis. (Von der Artikulation aus soll etwas in der Natur bewiesen werden,) er ist derjenige Teil der Körperwelt, der durch den bloßen Willen des Vernunftweesens in Bewegung gesetzt wird. Aber er geht nur bis zu einer gewissen Grenze im Raume, von welcher Grenze aus auch durch bloßen Willen nichts ausgerichtet //236// werden kann, weil das Vernunftwesen ein endliches sein soll.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 235f.  



Nota. - Die Natur in specie: als das, was das, was es ist, durch sich selbst ist, kommt in der Wissenschaftslehre erst am Schluss vor. Das brachte sie in Gegensatz zum damals gerade anhebenden obskurantistisch-selbstge- fälligen Zeitgeist und hat ihr sicher mehr geschadet als der Atheismusstreit. Auch in den vergangenen dreißig Jahren hat ein solcher geherrscht, ab damit scheint es zu Ende zu gehen. Sollte eine kritische und rationelle Geisteshaltung an ihre Stelle treten, könnte die Transzendentalphilosophie einmal Allgemeingut werden.
JE


Donnerstag, 5. Juli 2018

An der Grenze aller Gründe.


Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit. Wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit überzuge- hen. 

1) Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man da erblik- ke. Jeder wird sehen: Es gibt da kein Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit. 

Es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. In der Unbe- stimmtheit liegt nicht der Grund der nachfolgenden Bestimmtheit, denn beide heben sich auf. Im Moment A war ich unbestimmt, mein ganzes Wesen wurde in dieser Unbestimmtheit aufgehoben. Im Moment B bin ich bestimmt, es ist etwas Neues da; dieses kommt aus mir selbst: Das Übergehen geht in einen in sich selbst be- gründeten Akt der Freiheit über.
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 46f.


Nota. - Es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. Das hat nur Sinn, wenn er, wenn er 'absolut' sagt, absolut meint. Er wird, nachdem er die Transzendentalphilosophie verlas- sen hat, völlig kehrtmachen: "Aus nichts wird nichts", heißt es an der Stelle der Grundzüge des gegenwärtigen Zeit- alters, wo er erstmals ausdrücklich die Herkunft der Vernunft diskutiert. Da sagt er: Sie müsse schon immer da gewesen sein (in einem auserwählten "Normalvolk").

Das war aber ein unwürdiger Trick. Er setzt die 'Reihe vernünftiger Wesen', von denen die 'Aufforderung' zur Vernunft ergeht, einfach als historische Tatsache voraus, ohne zu erklären, woraus jede entstanden ist. Würde er sagen wollen: Indem halt ein erstes Ich sich als solches gesetzt hat, so wäre für den Ursprung der Vernunft nichts gewonnen. Es sei denn, er unterstellt einen Schöpfer, was er als Philosoph nicht vertreten könnte, aber als 'Volks- lehrer' seinen Hörern zum eigenen Schussfolgern überlassen darf. 

Er verziert es mit dunklen Reden über Mythen und frühe Geschichtserzählungen, man hört ihm seine Unbe- haglichkeit an. An die Stelle des "echten durchgeführten Kritizismus" ist Glaubensverkündigung getreten. Jacobi hatte Recht: Entweder dieses oder jenes; ein Drittes gibt es nicht.
JE




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JE

Samstag, 15. Dezember 2018

Meine Freiheit ist mein Teil von unserer Welt.


Wir haben nichts weiter zu tun, als die angezeigte Handlung zu analysieren; zu sehen, was denn eigentlich ge- schieht, indem sie geschieht. 

I. Das Subjekt schreibt diese Sphäre sich zu; bestimmt durch dieselbe sich. Es setzt sie sonach sich entgegen. (Es selbst ist logisches Subjekt in dem möglichen Satze, den man sich denken kann; die genannte Sphäre aber das Prädikat; Subjekt aber und Prädikat sind immer entgegengesetzt.) Welches ist nun hier zuvörderst das Sub- jekt?

Offenbar das lediglich in sich selbst und auf sich selbst Tätige, das sich selbst Bestimmende zum Denken eines Objektes oder zum Wollen eines Zweckes, das Geistige, die bloße Ichhheit. Diesem nun wir entgegengesetzt eine begrenzte, aber ihm ausschließend angehörige Sphäre einer möglichen freien Handlung.. (Indem es diese sich zuschreibt, begrenzt es sich, und wird aus dem absolut formalen ein bestimmtes materiales Ich oder eine Per- son. Man wolle doch diese zwei sehr verschiedenen Begriffe, die hier abstechend genug neben einander gestellt werden, nicht weiter verwechseln.)

Sie wird ihm entgegengesetzt heißt: Sie wird von demselben ausgeschlossen, außer ihm gesetzt, abgetrennt von ihm und gänzlich geschieden. Wird dies bestimmter gedacht, so heißt es zuvörderst: Die Sphäre wird gesetzt als nicht vorhanden durch die in sich Tätigkeit, und diese als nicht vorhanden durch sie; beide sind gegenseitig unabhän- gig und zufällig für einander. Aber was zum Ich sich so verhält, gehört, nach dem Obigen, zur Welt. Die genann- te Sphäre wird sonach zuvörderst gesetzt als ein Teil der Welt.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 57 



Nota. - Die Sphäre seiner Freiheit ist die Sphäre seiner Wirksamkeit. Sie liegt in der Welt; nämlich der realen Welt der Nichtiche. Sie ist das, was ich in anthropologischer Hinsicht mit unserer Welt bezeichne. Was ich dagegen meine Welt genannt habe, hat in der Transzendentalphilosophie gar keinen Platz. Sie ist eine 'Sphäre', in der das pp. Ich sich nicht als Objekt gegenübersteht, nicht für sich ist, und die nicht wirklich für es ist. Das Subjekt steht in ihr und sieht aus ihr heraus, aber nicht in sie hinein. Sie ist das Gebiet der Psychologen und Dichter.

Oder genauer: Dass es sie gibt, mag in die Transzendentalphilosophie gehören; aber sie selber nicht.

*

Und zum Abschluss noch dies: Der Brennpunkt meines Teils von unserer Welt ist seine Grenze: nämlich immer da, wo meine Freiheit auf die Freiheit des Andern stößt. Diese Grenze wird ewig ajustiert und neu bestimmt werden müssen; mal im Kampf, mal im Vertrag. An ihr findet nämlich mein gesellschaftlicher Verkehr statt.

JE




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Samstag, 26. Mai 2018

Meine Welt gehört selber in die Transzendentalphilosophie.



Unlängst schrieb ich, die Unterscheidung von meiner Welt und unserer Welt gehöre zur Transzendentalphilo- sophie als ihre Grenze.

Das war ebenso zaghaft wie voreilig. Meine Welt gehört selber und ganz und gar in die Transzendentalphiloso- phie.

*

Das von der Einbildungskraft Hervorgebrachte, von der Vorstellung Angeschaute, im Begriff Gemeinte ist Bild.

Als Bild ist es nicht von unserer Welt. An ihm werde ich nicht wir-Vernunftwesen, sondern Ich.* Das ist meine Welt. Vernunft und unsere Welt beginnen da, wo das Gemeinte vergemeinschaftet, nämlich mitgeteilt werden kann. Das kann erst im Begriff geschehen. Vom Begriff im weitesten Sinn,** von System und systematischer Ver- ortung ist noch nicht die Rede, aber von Symbolisierung immerhin.

Das Symbol ist selber 'auch ein Bild', aber das Bild von einem Bild; ein vorgegebenes Schema, das der Meinende nach einvernehmlichem Verfahren zu füllen hat – mit dem nun mutmaßlich miteinander-geteilten Bild. Wenn ich sage rot, darf ich annehmen, dass mein Zuhörer dieselbe Vorstellung in sich hervorbringt, die ich hervor- gebracht habe, als ich rot dachte. Annehmen darf ich es, weil die Erfahrung lehrt, dass wir uns auch sonst ver- ständigen können; warum also nicht dieses Mal? Aber ob oder ob nicht, kann ich nicht wissen, und den andern zum richtig-Vorstellen zwingen kann ich schon gar nicht; denn ich kann es ja nicht überprüfen.

Einbilden, anschauen und vorstellen liegen in meiner Welt. Unsere Welt beginnt erst bei den Begriffen. Dass sie in der Sprache der Begriffe zu mir reden, macht die 'Aufforderung' der 'vernünftigen Wesen' aus, die mich allein erst zur Vernünftigkeit veranlasst. Denn wozu könnte ich sie ohne jene gebrauchen?


28. 5. 15

*) Ach, 'Ich' ja eben nicht, sondern erst empirisches Selbst. Ein Ich ist das empirische Selbst erst als Glied der 'Reihe vernünftiger Wesen'.
**) Oder sollte es besser heißen im engeren Sinn? Gemeint sind jedenfalls die Begriffe, wie sie im System der Ver- nunft gebraucht werden: durch einander wechsel-bestimmt.