Freitag, 23. September 2016

Das Ich kann sich nicht beschränkt fühlen, ohne sich auch frei zu fühlen.


M. Pugliese, La promessa
 
9) Wir haben jetzt die beiden Anschauungen entgegengesetzt, wir, die wir philosophieren. Aber nun entsteht die Frage, wie das ursprüngliche Ich die Sache denken kann? Wie werden diese beiden Anschauungen durch das Ich entgegengesetzt? Im Anschauen fühlt das Ich sich bloß (vide supra). Die Anschauung geht aufs bloße Objekt. In der Anschauung des Beschränkenden fühlt das Ich sich beschränkt, in der Anschauung des Idealen fühlt das Ich sich frei. 

Beschränkt ist die ideale Tätigkeit immer darin, dass sie ein Objekt hat, doch ist sie ohnerachtet ihrer Be- schränktheit Tätigkeit, inneres Bilden, ein Machen in sich, ein innerliches Sich-Anschauen. Im ersten Fall ist sie beschränkt in Absicht des zu entwerfenden Begriffs, im zweiten Fall ist sie ganz frei, es ist kein Objekt, keine Regel gegeben, sondern nur ein Aufgabe. So fühlt das Ich sich in der Anschauung teils beschränkt, teils frei. 

Aber das Ich kann sich nicht beschränkt fühlen, ohne sich auch frei zu fühlen et vice versa. Diese beiden Zustän- de sind nur wechselseitig durch einander bestimmbar. Beide Gefühle können nicht von einander getrennt sein. Beide Anschauungen, die des bestimmten Objekts und die des Ideals, sind notwendig mit einander vereinigt; es ist die eine ohne die andre nicht möglich.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 86
 



Nota. - Das ist aufschlussreich für die ästhetische Betrachtung: Sie ist eine Anschauung, in der das Ich sich 'im Objekt verliert', ohne sich doch 'begrenzt' zu fühlen, denn das Gefühl der Begrenzung erwächst durch das 'Streben', im Bestimmen fortzufahren: nämlich vom Objekt einen Zweckbegriff zu entwerfen. In der ästhetischen Betrachtung jedoch weigert sich das Ich, Zweck oder Begriff zu entwerfen, und besteht darauf, das Objekt 'frei' anzuschauen, als ob es ein Ideal wäre. - 

Es versteht sich, dass das keine ursprünglich Handlung des Ich sein kann, sondern erst möglich wird, wenn das (vernünftige) Bewusstsein schon ausgebildet ist. Es ist im Bildungsgang 'des Menschen' eine späte Erscheinung.
JE


 

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