Donnerstag, 1. September 2016

Was aber ist das Gefühl?


F. X. Messerschmidt

6. Wie ist es nun möglich, dass das Ich vor allem Handeln voraus eine Erkenntnis der Handlungsmöglichkeiten habe? Es gehört für diese Handlungsmöglichkeit ein Positives des Man-//69//nigfaltigen, wodurch das Mannig-faltige erst würde; und dass nicht weiter zergliedert werden könne und dass es Grundeigenschaften geben müsse. Das Gefühl ist eins, es ist Bestiommtheit, Beschränktheit des ganzen Ich, über die es nicht hinausgehen kann. Es ist die letzte Grenze, es kann sonach nicht weiter zergliedert und zusammengesetzt werden, das Gefühl ist schlechthin, was es ist. Das durch das Gefühl Gegebene ist die Bedingung alles Handelns der Ich, die Sphäre, aber nicht das Objekt.

Die Darstellung des Gefühls in der Sinnenwelt ist das Fühlbare und wird gesetzt als Materie. Ich kann keine Materie hervorbringen oder vernichten, ich kann nicht machen, dass sie mich anders affiziere, als sie es ihrer Natur nach tut. Entfernen oder annähern kann ich sie wohl. Das Positive soll Mannigfaltigkeit sein, weil es Gegenstand der Wahl für die Freiheit sein soll. Es müsste also mannigfaltige Gefühle geben, oder der Trieb müsste auf mannigfaltige Art affizierbar sein; welches man auch so ausdrücken könnte: Es gibt mehrere Triebe im Ich.

Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu deduzieren oder aus einem Höheren abzuleiten, denn wir ste-hen hier an der Grenze. Dieses Mannigfaltige ist mit dem Postulate der Freiheit postuliert. Hinterher wohl wird dieses Mannigfaltige im Triebe sich zeigen als Naturtrieb und wird aus der Natur erklärt werden; aber die Natur wird selber erst zufolge des Gefühls gesetzt.

Diese mannigfaltigen Gefühle sind völlig entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein, es gibt keinen Übergang von einem zum andern. Jedes Gefühl ist ein bestimmter Zustand des Ich. Sonach wäre das Ich selber eine Mannigfaltiges; aber wo bliebe dann die Identität des Ich? Das Ich soll diese Mannigfaltigkeit auf sich be-ziehen, es soll es als sein Mannigfaltiges ansehen, wie ist dies möglich? 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 69


Nota I. - Die Gefühle als unmittelbare Gegenstände der Anschauung sind qualitativ, sie haben nichts miteinan-der gemein und gehen nicht ineinander über. Das Erlebnis, dass alle Gefühle meine sind, ist der Ursprung des empirischen Ich (welches es zu erklären gilt).


Nota II. - Es bleibt die Bizarrerie, dass das, was faktisch elementar ist, in der genetischen Herleitung des Trans-zendentalphilosophien erst als ein doppelt Vermitteltes vorkommt. Jedes Gefühl ist - sobald ich darauf merke - ein Zustand des ('ganzen') Ich. Dass 'darauf gemerkt' wird, ist nun die Bestimmtheit der idealen Tätigkeit; "An-schauung". Kann ich auf 'Rot, Blau, Süß und Sauer' so merken, dass es 'mein ganzes Ich bestimmt', so momen-tan es sei? Wird ein sinnliches Gefühl allein durch sozusagen muskuläre Konzentration zu einem "intellektuel-len"? - Es bleibt rätselhaft.
JE

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