Mittwoch, 31. Oktober 2018

Das Selbstbewusstsein eines gedachten Gottes.


Man denke, das Ich würde nicht begrenzt, sein Trieb würde Tätigkeit, so wäre das Ich ein sich-selbst-Affizieren und weiter nichts, das Ich wäre nicht gebunden, es wäre sonach keine ideale Tätigkeit da, ideale und reale Tätig- keit fielen zusammen, so etwas können wir uns nicht denken, es wäre das Selbstbewusstsein eines gedachten Gottes. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982,  S. 67  


Nota I. – Zunächst ist zu bedenken, dass für einen Christen – als solchen verstand sich Fichte – Gott nicht ge- dacht, sondern nur geglaubt werden kann. Und, zweitens, dass nicht zu verstehen wäre, wie einem solchen ungebundenen Selbstbewusstsein je ein Gegenständliches, ein Objektives erwachsen sollte und wie es folglich überhaupt zu einem Bewusstsein käme. – Kurz, dieser Satz besagt nur: Gott kann nicht Gegenstand der Philo-sophie werden.


25. 12. 15


Nota II. - Das Eine bei Plotin, Deus sive natura bei Spinoza sind solche ungebremsten Trieb-Tätigkeiten, und in beiden 'emanatistischen' Systemen bleibt ganz unklar, wie und weshalb sich irgendwann eine gegenständliche Wirklichkeit herauskristallisieren kann. Plotin redet unumwunden in Bildern und sein Urbild ist der Kreis - am Scheitelpunkt ist das Eine ausgefranst in tausend Mannigfaltigkeiten und prallt von dort aus gewissermaßen in den Einen Ursprung zurück. Das ist poetisch gedacht und will durch Schönheit überzeugen. Das kann jeder selbst entscheiden, ob ihm das gefällt.

Spinoza dagegen ist ein Rationalist, der sein System more geometrico demonstrieren will. Die Begriffe reihen sich dort stramm aneinandere wie eine Kompanie Soldaten. Bei ihm gibt es kein Zurück, bei ihm verliert sich Alles im Mannigfaltigen. Nicht nur ist das System deterministisch; es endet überdies in gleich-gültiger Ödnis.

Fichte war, bis er sich von Kant aus seinem dogmatischen Schlummer reißen ließ, ein Anhänger Spinozas gewe- sen, doch das fatalistische Dogma drückte ihn nieder. Die unendliche Agilität in Spinozas System wird ihn wohl eingenommen haben, aber sie ist bei ihm nicht Wille, der zur Gestaltung wird, sondern blinder Trieb in eine un- bestimmte Mannigfaltigkeit. 

Spinoza gibt eine Erklärung, aber die gibt keinen Sinn: Der Mensch kommt nur als passives Objekt vor; das heißt: eigentlich gar nicht. Ohne die Opposition gegen Spinoza bliebe Fichtes Werdegang unverständlich; ein "umgekehrter Spinozismus" sei die Wissenschaftslehre, sollte Jacobi später sagen. Die unendliche Agilität des reinen Wollens kann sich zum wirklichen Wollen lebendiger Individuen nur dann konkretisieren, wenn ihr ein Drang zur Wendung gegen sich selbst von Anbeginn eingepflanzt ist. Die Entzweiung von realer und idealer Tätigkeit muss als Vorstellung dem Gedanken eines Wollens-an-sich vorangegangen sein.
JE


 

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