Samstag, 13. Oktober 2018

Das zweite Kapitel.


Ich setze mich als Ich heißt: Ich setzte mich als tätig. Das Materiale der Tätigkeit (was dabei angeschaut wird) ist ein Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit. (Das Formale ist die Selbstaffektion, sie gehört nicht hierher.) Das Ich soll im Begriff tätig gesetzt werden als von einer gewissen Unbestimmtheit zu einer gewissen Bestimmtheit übergehend. Beide müssen wir hier kennenlernen. 

A) Das Bestimmte, wozu übergegangen wird, ist der Begriff eines bestimmten Dinges, aber ich selbst bin auch bestimmt in diesem Begriff, weil dieses Quantum meines Begreifens meinen Zustand* ausmacht.

B) Über die Entstehung dieses bestimmten Dinges, dieses bestimmten Begreifens, dieser meiner Bestimmtheit im Begreifen haben wir bisheit dies gesehen: Ich bin beschränkt, und zwar vollständig. Dieses vollständig zeigte eine Beschränktheit der Beschränktheit an. Die praktische Tätigkeit ist ganz aufgehoben, die ideale bleibt; das Wesen letzterer besteht nun darin, dass sie ein Objekt habe. In diesem Zustande ist praktische Beschränktheit oder Gefühl, und mit diesem Anschauung, denn beide sind notwendig verbunden. Nun aber ist die praktische Beschränktheit eine bestimmte, mithin auch diese Anschauung.

C. - Das bisher Gesagte ist zur Zeit nur für uns, die wir philosophieren, und bleibt so lange leer. Soll es etwas sein, so muss etwas für das Ich werden, worüber wir philosophieren. Wie wird es nun für das Ich? Wir haben gesagt: durch ein neues Gefühl X vom Zusammenhange der Anschauung Y mit dem Gefühl X: das Gefühl des Denkzwangs. Aber dies ist auch nichts, wenn es nicht für das Ich da ist; und der ganze Zustand ist für das Ich nur, in wiefern es sich in demselben das freie Übergehen versagt.

D. Das Ich gibt notwendig sich frei hin, versteht sich für sich als frei, es findet sich als frei, d. h. sein Hingeben ist mit der Vorstellung verbunden, dass es sich auch nicht hätte hingeben können. Aber es kann sich in diesem Hingeben nicht frei //103// setzen, wenn es sich nicht wirklich hin gibt, denn sonst ist für dasselbe nichts vorhan- den. Ich bemerke irgend ein Objekt; dass ich es bemerke, geschieht mit Freiheit, denn ich sage, dass ich es auch nicht hätte bemerken können; aber dies kann ich nur sagen, indem ich es bemerkt habe.

Dadurch bekommt nun jenes X eine doppelte Ansicht. Einmal wird es betrachtet als eine Anschauung, die nicht Anschauung  sein soll, das zweite Mal als eine Anschauung, die eine sein soll. Das erstemal ist es das Ding, das an sich auch ohne das Ich exisieren soll, das zweitemal die Vorstellung davon, die mit Freiheit hervor- gebracht werden soll. Das Ding und die Vorstellung davon sind also ein und dasselbe, nur angeschaut von zwei Seiten. Das erstemal ist es das, wodurch die Vorstellung bedingt ist, das zweitemal ists die Vorstellung selbst.

Im gemeinen Bewusstsein äußert sich das so: Wenn auch Ich nicht wäre, so würde doch eine Welt sein. (Dies ist ein Schluss, und indem ich dies behaupte, setze ich mich unvermerkt hinzu.) Dadurch sind wir nun zum eigent- lichen Kern der Objektivität gekommen, wir wissen nun, woher es komme, dass wir Dinge außer uns anneh- men. Das erste, wobei die Freiheit nicht ist, haben wir genannt die Anschauung, die als solche blind ist und nicht zum Bewusstsein kommt; man nennt sie besser das Ding, weil man sich bei der Anschauung noch etwas hinzudenkt, welches angeschaut wird. Das zweite ist die Vorstellung vom Ding.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 102f.

 
Nota. - Nicht eigentlich das Gefühl selbst, in dem er auch den Denkzwang unterbringen will, ist der problemati- sche Begriff, sondern der Zustand: Der ist nämlich das als real gedachte Pendant zum begriffenen Ich. In jedem Fall geht es darum, Denkerfahrung und Sinnlichkeit in einander aufzulösen.

Das Ich der intellektuellen Anschauung ist bloßer Begriff: Noumenon. Als solches fühlt es nichts und hat keinen 'Zustand'. Es fühlt das lebendige Individuum, dessen Weg zur Vernunft die Wissenschaftslehre rekonstruieren will - aus der als unvermeidlich aufgefundenen Voraussetzung des sich-selbst-setzenden Ich. 


Wir bleiben stets im Reich der Vorstellung. Die Aufgabe ist nicht, den Denkzwang der Sinnlichkeit, sondern vielmehr die Sinnlichkeit dem Denkzwang zu assimilieren. Die Frage war doch: Wie kommt das Objekt in meine Vorstellung? Er hat sie lediglich umgekehrt: Wie komme ich zu der Annahme, dass meinen Vorstellungen Objek- te außer mir entsprechen? Materialiter ist das dasselbe. Und dieselbe Frage ist: Wie kann ich wissen, ob oder ob nicht? 

Da ist in der Erfahrung die Faktizität des Objekts; an ihm 'objektiviert' der Denkzwang das Gefühl; oder doch richtiger: übt das Gefühl einen Denkzwang aus. Bis hierher ist gar kein logisches Problem; ein solches entstand nur den dogmatischen Systemen, für die das Ich rezeptiv ist und Meldungen von den Dingen bloß entgegen- nimmt. In der Wissenschaftslehre ist die Einbildungskraft eo ipso produktiv, sie hält nach einem Objekt gewis- sermaßen Ausschau.

Umständlich wird es bloß, wo die Einbildungskraft mit ihren eigenen Erzeugnissen zu tun bekommt. Die sind alle Noumena. Einen Anhaltspunkt für ihre Realität lässt sich nicht auffinden, weil sie nicht real sind. Sie sollen aber gelten - oder als Spielzeug oder Abfall ausgemustert werden. Wir können das unterscheiden, und wir unter- scheiden klaren Verstand und Irrsinn. Wie ist das möglich?

Phänomenal haben wir als Anhaltspunkt lediglich die faktische Übereistimmung der meisten Individuen; die wirkliche 'Reihe vernünftiger Wesen'. Sie ist ein Hinweis, zum Beweis taugt sie nicht im mindesten: Die Mehrheit kann verrückt sein. Dass wir aber mit so vielen übereinstimmen, zeigt an, dass viele beim Einbilden ähnlich ver- fahren. Ihr Verfahren folgt einer Regel. Ist es so, dann kann ihr Einbilden nicht gegen die Regel verstoßen  -  jeden- falls nicht nach seiner eigenen Regel, sondern nur, indem ihm schwindelt. 

Wir haben es hier nicht nur mit den Erzeugnissen der Einbildungskraft zu tun, den Bildern, sondern mit ihrer Tätigkeit selbst, dem aktiven Einbilden, welches, indem es wirklich geschieht, ein Handeln, und als ein solches real ist. Insofern ist es nur bedingt frei, nämlich unter den einmal angenommenen Bedingungen. Die Bilder mögen so bunt und einander fremd sein, wie sie wollen - über ihre Brauchbarkeit entscheidet ihr Gebrauch.* Regelhaft ist aber das Verfahren beim Bilden.

Die Annahme eines Denkzwangs ist daher plausibel, und dass es manchen gibt, der aus der Reihe tanzt, ist nahe- zu unvermeidlich. Vernunft ist nur bedingt möglich - durch eine Wahl des freien Willens.

*) Der Denkzwang ist keine Garantie gegen den Irrtum. Vernunft gibt es nicht ohne Kritik.

JE










Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  JE
  

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