Dienstag, 2. Oktober 2018

Es schwebt.


Wie ist Bewegung möglich? Nur dass die Linie konstruiert wird, so Bewusstsein der Tätigkeit, dass das Be- stimmte aufgefasst wird als Masse, als Ganzes [sic]. Bewegung ist dadurch noch nicht erklärt, ich sehe noch nicht, was durch die Linie sich durchschiebt, so auch nicht das Bewusstsein, da man das selbsttätige Agile noch nicht sieht. Mit diesem Bestimmbaren wird das Ich vereinigt und angesehen als sein Vermittelndes, das bestim- mende Ich.

Das bestimmende Ich ist etwas Einfaches, Absolutes, durchs bloße Denken Produziertes, ein Noumen, darin wird ja nicht gedacht ein sich wirklich bestimmendes Ich, da bloß die Form gedacht wird, das bloße Vermögen. Dies ist ein sonderbarer Begriff, da sich nicht verstehen lässt, was ein bloßes Vermögen sein könnte, und doch ists im Bewusstsein gedacht.

Wenn ein Vermögen gedacht wird, wird die bloße Form gedacht, nicht aber ein bestimmtes Handeln dieser Art. Es ist wie mit dem Denken des unendlichen Raumes. Hierbei ist die Schwierigkeit die: Wie soll ich zur Erkennt- nis der Form kommen, wenn ich sie nicht in etwas Bestimmten schon realisiert gefunden habe? (Gewöhnlich hebt man von bloßer Abstraktion an in der gewöhnlichen Formularphilosophie.)

Wie ist Abstraktion möglich ohne vorausgegangenes Konkrete [sic]? Dies wird angewandt aufs Selbstbestim- men - gerade dadurch ists möglich, dass die Selbstbestimmung durch die das unendliche Mannigfaltige auffas- sende Einbildungskraft hindurch erblickt wird, welche hier die Vermittelnde ist. So werfe ich beim Linienziehen die Linie durch die unendlichen Punkte hindurch.

Wies uns zumute ist wenn wir zweifeln oder wählen, ist jedem bekannt. Also der Begriff von dem Vermögen zu wollen liegt drin, es wird aber nicht gewollt. Aber wie wird denn nun ein Begriff der Art möglich? Dadurch, dass man / sich in der Deliberation nicht auf eins einschränkt. Dies muss man nur transzendental verstehen, die Vorstellung soll nicht als vorausgesetzt angenommen werden. 

Es ist allenthalben in der ganzen Sphäre, in der Einbildungskraft läuft, ein quasi Bestimmen, das immer von einem zum andern übergeht, es ist eine Bestimmtheit und Unbestimmtheit vereinigt. Hier sehen wir, wie der Begriff der Bestimmbarkeit überhaupt erst entsteht.
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Wissenschaftslehre nova methodo,  Hamburg 1982, S. 204f.
  



Nota I. - Es geht nicht um Begriffe und deren bestmögliche Definition, sondern um das materiale Vorstellen selbst. Dem Begriff nach kommt die Unbestimmtheit vor der Bestimmung. Woher die Bestimmung aber kommt, wird gar nicht gefragt. Doch die Intelligenz, die in einer Reihe vernünftiger Wesen zur Welt gekommen ist, trifft zuerst allenthalben auf schon (von Andern) Bestimmtes. Unbestimmtheit ist das, was sie zuerst nicht kennt, darum erscheint sie ihr, wo sie ihr begegnet, von vorherein als zu überwindender Mangel: als ein zu-Bestimmendes. Als was sie zu bestimmen ist, weiß sie nicht, aber dass. Das Was schwebt ihr als Möglichkeit vor. Es erstaunt, dass F. von Schweben an dieser Stelle nicht spricht.
24. 3. 17

Nota II. - Nein, das ist zu flach. Man muss es "transzendental verstehen": Es schwebt. Das ist die - romantische - Schlüsselidee der Wissenschaftslehre; nicht in ihrer strengen immanenten transzendentalphilosophischen Her- leitung, sondern in der Anschauungweise, auf die man sich schon eingelassen haben muss, wenn man in der Trans- zendentalphilosophie überhaupt einen Sinn erkennen will. Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist. Wer in Sicherheit gewogen sein will, wählt eine Lehre, deren Rede ist Jaja, Nein- nein, woran er sich halten kann. Wer dagegen, zu seiner Freude oder seinem Leid,* an jeder Ecke wieder vor einem Rätsel steht, dem kommt das Schweben als Normalzustand vor. Da muss er sich zurecht-, da muss er hin- ausfinden. Dem kommt das nicht-als-dieses- und nicht-als-jenes-Bestimmte als ein Zu-Bestimmendes vor. Eine Philosophie wird er wählen, die dort anfängt. Und er wird wohl finden, dass sie darauf auch hinausläuft.

*) dies der Romantiker, jenes der Existenzialist
2. 10. 18
 

Nota III. - Im sich-selbst-Bestimmen kreist die Einbildungskraft gewissermaßen um sich selbst: Sie schwebt. Nichts anderes als dieses Schweben ist das 'Ich'.
27. 6. 15 



Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  
JE
  
 

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