Sonntag, 14. Oktober 2018

Der Begriff und sein dogmatischer Schein.

  Toma-Volk, Guinea

Um mich selbst als mich selbst wahrnehmen zu können, müsste ich mich schon als gesetzt voraussetzen. 

Zu der Tätigkeit, mit der ich mich setze, ging ich über von einer Ruhe, Untätigkeit, die ich der Tätigkeit entge- gensetze. Anders konnte man die Vorstellung der Tätigkeit nicht bemerken; sie ist ein Losreißen von einer Ru- he, von welcher zur Tätigkeit übergegangen wird. Also nur durch Gegensatz war ich vermögend, mir meiner Tätigkeit klar bewusst zu werden und eine Anschauung derselben zu bekommen.

Handeln ist gleichsam Agilität, Übergehen im geistigen Sinne, dieser Agilität wird im Bewusstsein entgegenge- setzt ein Fixiertsein, ein Beruhen. Umgekehrt kann ich mir auch der Ruhe nicht bewusst werden, ohne dass ich mir der Tätigkeit bewusst bin. Man muss daher beide zugleich ansehen, um eine von beiden einzeln ansehen zu können. Nur durch Gegensatz ist eine bestimmtes klares Bewusstsein möglich.Wir haben es hier aber nicht mit diesem Satze überhaupt, sondern mit dem einzelnen bestimmten Falle zu tun, der hier in Frage kommt.
 

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Ruhe, //33// in dieser Ruhe wird das, was eigentlich ein Tätiges ist, ein Gesetztes. Es bleibt keine Tätigkeit mehr, es wird ein Produkt; aber nicht etwa ein anderes Pro- dukt, als die Tätigkeit selbst, kein Stoff, kein Ding, welches vor der Tätigkeit des Ich vorherging; sondern bloß das Handeln wird dadurch, dass es angeschaut wird, fixiert. So etwas heißt ein Begriff, im Gegensatz der An- schauung, welche auf die Tätigkeit als solche geht. 

In dieser in sich zurückgehenden Tätigkeit, als ruhend angeschaut, fällt Subjekt und Objekt zusammen, und dadurch entsteht das Positive, Fixierte. Dieses Zusammenfallen beider, und wie dadurch die Anschauung in einen Begriff verwandelt wird, lässt sich nicht anschauen, sondern nur denken. Nur die Anschauung lässt sich an- schauen, nicht denken; das Denken lässt sich nur denken, nicht anschauen. Jede Äußerung des Gemüts lässt sich nur durch sich selbst auffassen. Dies bestätigt die oben aufgestellte Theorie des Bewusstseins.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982,  S. 32f.


Nota. - Die Rede ist wie immer von der Vorstellung. Nicht die Dinge unterscheiden sich von einander, sondern ein Vorstellender unterscheidet. Einen Unterschied zwischen Vielen nehme ich als Mannigfaltigkeit wahr. Den Unterschied zwischen Zweien nehme ich wahr als Gegensatz; zum Gegensatz wird ein Unterschied, indem ich auf ihn reflektiere: ihn mir als solchen zu Bewusstsein bringe. Reflektiere ich auf Eines im Unterschied zu Vielen, setze ich das Eine zu Allem Andern als einem Totum in einen Gegensatz.

Wenn das Ich sich selber wahrnehmen soll, muss es sich von sich unterscheiden. Wenn es darauf reflektiert, setzt es sich sich-selbst entgegen. Wenn das Ich, das wahrnimmt, auf das Ich blickt, welches es wahrnehmen soll, findet es dieses als schon da seiend vor. Findet es sich vor als tätig, so nur, indem es sich einen Zustand voraus-setzt, in dem es ruhend war.

Ruhend heißt: außerhalb des Zeitverlaufs; bloß im Raum heißt: als reine Form der Tätigkeit. - Es ist überhaupt nur dieses Vermögen, ein Tun 'als ruhend', als bloße Form aufzufassen und zum Begriff zu bilden, das die Vor- stellung von einem An sich - das Noumenon zum Phänomenon - möglich macht. Im Vorstellen ist das Ich al- lenthalben tätig. Wo es sich als sich begreift, begreift es sich als seinem Tätigsein vorausgesetzt. Der Begriff ist das Gedankenbild des Phänomens, nicht mehr und nicht weniger, und als solches steht er außerhalb von Raum und Zeit - und ist ganz selbstgenügsam "an sich". Der Begriff ist die Falle der Vorstellung. Im Begriff erscheint dem Vorstellenden das, was er sich vorstellt, als ihm vorausgesetzt. Er ist der metaphysische Pferdefuß, er ist der harte Kern alles Dogmatismus'. 

Er ist allerdings auch das scharfe Messer der Kritik. Er markiert die Unterschiede - s. o. - und verhindert, dass alles unter einen Hut kommt. Er ermöglicht die Frage nach dem Grund und berechtigt zur Abweisung der My- stifikationen. Er ist das Medium des dialektischen Scheins sowohl als das Medium seiner Zerstreuung.
JE

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