Montag, 7. Januar 2019

Formularphilosophie in specie.


Der erstere ist ein willkürliches Nachmachen der von anderen vernommenen ursprünglichen Handelsweise der Vernunft, nachdem die Notwendigkeit, welche allein ihnen Bedeutung und Realität gibt, verwschwunden ist. Das letztere allein ist wahre Beobachtung der Vernunft in ihrem Verfahren.

Aus dem ersteren entsteht eine leere Formular-Philosophie, die genug getan zu haben glaubt, wenn sie nachgewie- sen, dass man sich irgend etwas denken könne, ohne um das Objekt (um die Bedingungen der Notwendigkeit dieses Denkens) besorgt zu sein. Eine reelle Philosophie stellt Objekt und Begriff zugleich hin und behandelt nie eins ohne das andere. Eine solche Philohophie einzuführen und alles bloß formelle Philosophieren abzu- schaffen war der Zweck der Kantischen Schriften. 


Ich kann nicht sagen, ob dieser Zweck bis jetzt auch von Einem philosophischen Schriftsteller bemerkt wor- den. Das aber kann ich sagen, dass das Missverständnis dieses Systems sich auf zweierlei Art gezeigt hat: teils bei sogenannten Kantianern darin, dass sie dasselbe auch für eine Formular-Philosophie, nur für die umgekehr- te ehemalige, hielten, und so leer philosophierten, als je philohophiert worden, nur von einer entgegengesetzten Seite; teils bei scharfsinnigen Skeptikern, welche wohl einsahen, woran es eigentlich der Philosophie fehlte, aber nicht bemerkten, dass dem Mangel in der Hauptsache durch Kant abgeholfen sei. Das bloß formelle Denken hat in der Philosophie, in der Mathematik,* in / der Naturlehre, in allen reinen Wissenschaften unbeschreiblich viel geschadet.

*) In der Mathematik zeigt sich dies insbesondere durch den Missbrauch der Algebra von bloß formalen Köp- fen. So hat man - dass ich ein auffallendes Beispiel anführe - noch nicht recht einsehen können, dass die / Qua- dratur des Zirkels unmöglich und ihrem Begriffe widersprechend sei ... Ich habe es, als ich noch in Secunds saß, gar wohl vernommen, dass die Peripherie gleich sein soll einem Polygon von unendlich vielen Seiten, und dass man den Flächeneinhalt des ersteren bekommen soll, wenn man den des letzteren hat; aber ich habe die Möglich- keit dieser Ausmessung nie begreifen können, und hoffe zu Gott, dass er mich bis an meine Ende sie nicht wer- de begreifen lassen. 

Was ist denn der Begriff eines Unendlichen? Doch wohl der einer Aufgabe, die Seite des Polygons in das Unend- liche fortzuteilen, also die Aufgabe eines unendlichen Bestimmens? Aber was ist denn ein Maß, zu dem ihr hier das Unendliche brauchen wollt? Doch wohl etwas Bestimmtes? Teilt ihr ins Undendliche fort, wie ihr der Aufgabe nach sollt, so kommt ihr nicht zum Messen. Geht ihr aber an das Messen, so müsst ihr vorher aufgehört haben zu teilen, und euer Vieleck ist sonach ein endliches, und nicht, wie ihr vorgebt, ein unendliches.

Aber weil ihr die Handelsweise, ein Unendliches zu beschreiben, d. i. den leeren Begriff des Unendlichen auf- fassen unt etwa mit A bezeichnen könnt, so bekümmert es euch nicht weiter, ob ihr auf diese Weise wirklich gehandelt habt und handeln könnt, und ihr geht mit eurem A rüstig an das Geschäft. 
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 6f.



Nota I. - Man kann jedes Denkerzeugnis durch ein Zeichen identifizieren, ihm eine Beschreibung beigeben und als einen Begriff ausgeben - und dann ihn in Gesellschaft mit andern Begriffen einem logischen Schlussverfahren unterziehen. Weil es in einer vernünftigen Operation vorkommt, erscheint es wenigstens der Form nach dann selber als vernünftig.

Nota II. - Bei dem erwähnten Skeptiker wird es sich wohl um Salomon Maimon handeln, der mit F. zu den Her- ausgebern des Philosophischen Journals gehörte. - 

Und im übrigen hoffen wir zu Gott, dass die Zahl Pi niemals festgestellt wird.
JE




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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