Ephebe von Antikythera
Aus der Deduktion unserer Überzeugung vom Dasein einer Sinnenwelt außer uns folgt zugleich, wie weit diese Überzeugung gehe und in welchem Zustande des Gemüts sie stattfinde: denn kein Begründetes geht weiter als der Grund, und sobald man den Grund einer bestimmten Denk-/weise kennt, kennt man auch ihren Umfang.
Sie geht so weit, als unsere Vorstellung von der Einwirkung der Dinge auf uns und unsere Rückwirkung auf sie geht, weil nur dadurch unser praktisches Vermögen als begrenzt gesetzt wird. Daher auch die Philosophen von jeher ihre Beweise für die Realität einer Welt außer uns aus der Einwirkung derselben auf uns geführt haben; ein Beweis, der freilich voraussetzt, was erwiesen werden soll, der aber dem gemeinen Menschenverstand sich anschmiegt, weil es derselbe ist, den er sich selbst führt.
Aber wie macht es der spekulative Philosoph, um diese Überzeugung auf einige Zeit zu entfernen, damit er über sie hinaus untersuchen könne? Offenbar so, dass er jene sie bedingende Unterscheidung nicht vornimmt.
Wenn wir bloß auf die Tätigkeit des Vorstellens sehen und nur diese erklären wollen, so wird ein notwendiger Zweifel über das Vorhandensein der Dinge außer uns entstehen. Der transzendentale Idealist umfasst die prak- tische und theoretische Tätigkeit zugleich, als Tätigkeit überhaupt, und kommt dadurch notwendig, weil nun kein Leiden [mehr] im Ich ist, wie es denn nicht sein kann, zu dem Resultate, dass das ganze System der Objekte für das Ich durch das Ich selbst hervorgebracht sein müsse.
Aber eben darum, weil er beides umfasst, kann er es zu seiner Zeit auch scheiden und den Gesichtspunkt auf- zeigen, auf welchem der gemeine Menschenverstand notwendig stehen muss. Der dogmatische Idealist schließt die praktische Tätigkeit von seinen Untersuchungen ganz aus, sieht lediglich auf die theoretische und will sie durch sich selbst begründen, und da ist es dann natürlich, dass er sie zu einer unbedingten machen muss. -
Diese Spekulation ist beiden nur solange möglich, als sie in der Abgeschiedenheit des Denkens verbleiben, so- bald aber ihre praktische Tätigkeit aufgeregt wird, vergessen sie auf der Stelle ihre spekulativen Überzeugungen und kehren zur gemeinen menschlichen Ansicht der Dinge zurück, weil sie müssen. Es hat keinen [dogmatischen] Idealisten gegeben, der seine Zweifel oder vermeinte Gewiss-/heit bis auf sein Handeln ausgedehnt hätte, und es kann keinen geben, denn dann könnte er gar nicht handeln; aber dann könnte er auch nicht leben.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 26f.
Nota. - Es ist der durch das Gefühl bezeugte Widerstand des Objekts, durch den mein praktisches Vermögen (reale Tätigkeit) begrenzt wird; und dieser Widerstand ist die Grenze der 'Welt außer mir'. Dies übersieht der dogmatische Idealist, weil er eine praktische Tätigkeit gar nicht kennt. Der gemeine Menschenverstand ist ein dogmatischer Realist, weil er an der theoretischen (idealen, reflektierenden) Tätigkeit übersieht, dass sie Tätigkeit ist. Der Fehlgriff liegt in beiden Fällen nicht in der Mutmaßung über das Wesen der Dinge, sondern in der Mut- maßung über das Wesen der Tätigkeit.
(Es ist ein Missverständnis vom Wesen des Wirk lichen: nicht Sein, sondern tun.)
JE
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