Sonntag, 13. Januar 2019

Die Wirklichkeit der Welt und ihr Widerstand.


Der transzendentale Philosoph muss annehmen, dass alles, was sei, nur für ein Ich sein soll, und was für ein Ich sein solle, nur durch das Ich sein kann. Der gemeine Menschenverstand gibt im Gegenteil beiden eine unabhän- gige Existenz und behauptet, dass die Welt immer sein würde, wenn auch er nicht wäre. 

Der letztere hat nicht Rücksicht auf die Behauptung des ersteren zu nehmen und kann es nicht, denn er steht auf einem niederen Gesichtspunkte;* der erstere aber muss auf den letzteren allerdings sehen, und seine Behaup- tung ist so lange unbestimmt und eben dadurch zum Teil unrichtig, bis er gezeigt hat, wie gerade aus seiner Be- hauptung das Letztere notwendig folge und nur durch diese Voraussetzung sich erklären lasse. Die Philosophie muss unsere Überzeugung von dem Dasein einer Welt außer uns demonstrieren. 

Dies ist nun hier aus der Möglichkeit des Selbstbewusstseins geschehen, und jene Überzeugng ist als Bedingung des Selbstbewusstseins erwiesen. Weil das Ich sich im Selbstbewusstsein nur praktisch setzen kann, überhaupt aber nichts als ein Endliches etzen kann, mithin zugleich eine Grenze seiner praktischen Tätigkeit setzen muss, darum muss es eine Welt außer sich setzen. So verfährt ursprünglich jedes vernünftige Wesen, und so verfährt ohne Zweifel auch der Philosoph. / 

Wenn nun gleich der Letztere hinterher einsieht, dass das Vernunftwesen zuvörderst seine unterdrückte** praktische Tätigkeit setzen müsse, um das Objekt setzen und bestimmen zu können, dass mithin das Objekt selbst gar nicht unmittelbar gegeben, sondern dass es zufolge eines andern ursprünglich erst hervorgebracht sei, so hindert dies den gemeinen Menschenverstand nicht, der dieser soeben postulierten Verrichtungen sich nicht bewusst sein kann, da sie die Möglichkeit alles Bewusstseins bedingen und somit außerhalb des Umkreises desselben liegen, und der die Spekulationen, die die Überzeugung des Philosophen leiten, nicht macht; es hin- dert selbst den Philosophen nicht, sobald er auf den Gesichtspunkt des gemeinen Menschverstandes zu stehen kommt.
*) = Reflexionsstufe
**) an besagter Grenze abgebrochene
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 24f.
 
 



Nota. - Die Annahme einer wirklichen Welt ergibt sich nicht aus der Erfahrung, sondern ist ihr als Bedingung vorausgesetzt; nämlich in unserer Vorstellung. Darüber, ob 'es' eine Welt wirklich 'gibt', ist damit freilich nichts gesagt.

Auch noch nichts ist darüber gesagt, wie wir es anstellen - aber wir stellen es täglich an! -, die Vorstellungen, denen ein Objekt außerhalb der Vorstellung entspricht, zu unterscheiden von jenen, denen keins entspricht. Darauf kommt es dem gemeinen Menschenverstand aber viel mehr an als auf metaphysische Fragen.

Es geht wieder um den Denkzwang. Das Ich muss ein Nicht-Ich setzen und sich entgegensetzen aufgrund des Widerstands, den es seiner Tätigkeit entgegensetzt, denn der schafft das Gefühl. Es geht darum, dass da eines ist; bestimmen, wie es ist - qualifizieren -, muss wiederum das Ich selbst. So kommt der Prozess des Selbstbestim- mens in Gang. Und wo immer er auf Widerstand stößt, zeugt er von der Objektivität des Gegenstands. 

Der Widerstand übt, so oder so, einen Denkzwang aus. Aber eben: so oder so. Bei realen Objekten muss das Den- ken innehalten, deliberieren und nach einem Aus-, d. h. Umweg suchen. Ideelle Objekte dagegen weisen den Weg unmittelbar: Es bleibt gar keine Wahl. 

(Warum? Weil sie im selben Medium liegen wie die Operationen des Denkens.)
JE





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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