Mittwoch, 23. November 2016

Dieser Begriff vom Wollen ist es, worauf alles Geistige beruht.


 
Deliberieren und Wollen ist bloßes Denken, das erste ist problematisches, das zweite kategorisches. Aber alles im Ich, also auch das Wollen, muss durch dasselbe gesetzt sein. Das bestimmte Denken, das wir ein Wollen nennen, ist sonach ein unmittelbares Bewusstsein. Ich will, inwiefern ich mich als wollend denke, und ich denke mich als wollend, inwiefern ich will. Der Wille ist ein absolutes Erstes, seiner Form nach durch nichts Beding- tes. Es ist ebenso wie mit dem Gefühl, dem ebenfalls, weil es ein unmittelbares ist, nichts vorschwebt, was man wegdenken könnte.

Dieser unmittelbare Begriff vom Wollen ist die Grundlage des Systems der Begriffe, die Kant Noumene nennt und durch welche er ein System der intelligiblen Welt begründet. Sie haben zu vielen Missverständnissen Anlass gegeben und stehen im Kantschen System abgerissen und getrennt von dem Übrigen da.

Kant sagt zwar, dass man sie denken müsse, aber nicht wie und warum? Sie sind bei ihm Qualitates occultae, er behauptet: Es gibt keine Brücke von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt. Dies kam daher, weil er in der Kritik der reinen Vernunft das Ich einseitig und nur das Mannigfaltige ordnend, nicht aber als produzierend dachte.

Die Wissenschaftslehre schlägt diese Brücke leicht. Nach ihr ist die intelligible Welt die Bedingung der Welt der Erscheinungen. Die letztere wird auf die erstere gebaut. Die erstere beruht auf ihrem eigentlichen Mittelpunkte, dem Ich, das nur / im Wollen ganz ist. Alle Vorstellungen gehen aus vom Denken des Wollens.

Dieser Begriff vom Wollen ist es, worauf alles Geistige (das im bloßen Denken bestehen soll) beruht, wodurch das Ich selbst geistig wird. Nach der vorigen Ansicht war das Ich körperlich, beide Ansichten müssen vereinigt werden. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 124f.

 
Nota. - Nirgends hat, soweit ich es übersehe, Fichte seine Kritik an Kant vollständiger ausgesprochen: Bei Kant ist das Ich, qua transzendentale Synthesis und alles Folgende, in der Erscheinung nur ordnend tätig. Er bleibt, muss man hinzufügen, ein halber Dogmatiker. Denn die Erscheinungen haben ihr Doppel in den dazugehö- rigen Noumena bzw. "an sich". Das sind Qualitates, die schlechterdings occultae bleiben und bleiben müssen. 

Die wirkliche Transzententalphilosophie - "echter durchgeführter Kritizismus" - setzt das Ich jedoch als produ- zierend voraus; die Vorstellungen produzierend, versteht sich, aber mit Anderem hatte es auch Kant nicht zu tun.
JE 



 

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