Dienstag, 22. November 2016

Wollen und deliberieren.


focus 1980

1) Die Vorstellung von Kraft lässt sich nur ableiten vom Bewusstsein des Wollens und der mit dem Wollen vereinigten Kausalität. Es ist also zuerst die Frage zu beantworten: Wie finden wir uns denn, wenn wir uns wollend finden und diesem Wollen eine Kausalität in der Sinnenwelt zuschreiben?  Dieser Punkt kann nicht aus Begriffen abgeleitet werden; er ist ein nicht weiter abzuleitendes Unmittelbares, Erstes. - Man mus sich das Wollen überhaupt und die Form des Wollens reproduzieren und sich bei diesem Verfahren beobachten.

Zuvörstert:

Man denke sich deliberierend. Soll ich dieses oder jenes tun, oder ein drittes? In der Deliberation erscheinen diese gedachten Vorstellungen als in der Vorstellung ganz bestimmt. Ich denke mir diese Handlungen als möglich, vom Entschlusse abhängig, aber nur als möglich. Der Begriff der Handlung ist im Deliberieren noch über mehreren Handlungen schwebend; er ist noch auf keine bestimmte fixiert. 

Man deliberiere nun nicht mehr, sondern fasse einen Beschluss, so erscheint das Gewollte als etwas, das sich allein zutragen soll. Das Wollen erscheint als eine kategorische Fo[r]derung, als ein absolutes Postulat an die Wirklichkeit. Im Deliberieren ist nur von der Möglichkeit die Rede [=von der Möglichkeit ist nur im Delibe- rieren die Rede, JE]; durch das Wollen soll etwas Neues, Erstes, vorher noch nicht Vorhandenes entstehen. Dieses ist aber doch schon idealiter dagewesen, denn im Deliberieren habe ich die möglichen Begebenheiten, die erfolgen konnten, an mein Wollen gehalten, aber nur problematisch. 

Also lässt sich jenes Neue beschreiben, aber jetzt erst / losgelassen, indem es in der Deliberation noch zurück- gehalten war. Das Wollen erscheint also als ein Hervorgehen, als eine freiwillige Beschränkung, indem man den Willen auf ein neues Objekt hinleitet. Im Deliberieren ist das Bestreben zerstreut und insofern  kein Wollen. Die Konzentration dieses zerstreuten Strebens in einem Punkt heißt erst Wollen. Dies ist eine Folge aus dem oben aufgestellten Satz: Das Ich findet sich im Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit. Nur in diesem Übergehen kann man sich seines Wollens bewusst werden.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 122f.


Nota. - Das Wollen als Noumenon ist der gesamten Wissenschsaftslehre zugrundgelegt worden; nämlich nachdem sie in ihrem ersten analytischen Zug auf 'das Ich' als Denknotwendigkeit gestoßen war. Davon ist hier nun  nicht mehr die Rede, wir sind längst dabei, den wirklichen Entwicklungsgang des Bewusstseins (als Schema) zu rekonstruieren. Da kommt ein 'Wollen-überhaupt' gar nicht vor, gewollt wird immer dieses oder jenes - oder es wird nicht gewollt. Das wirkliche Wollen ist immer ein bestimmtes, aber Bestimmung geschieht nicht ohne Bewusstsein des Bestimmens. Das ist Deliberieren.
JE



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