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Der Geist
unserer Philosophie ist: Kein vorgebliches Ding an sich kann Objekt des
Bewusstseins sein. Nur ich selbst bin mir Objekt; wie lässt sich unter
dieser Voraussetzung das Bewusstsein konstruieren?
Wir können nur nach unseren Denkgesetzen erklären, und nach diesen muss die Antwort auf unsere Frage aus- fallen. Unsere //167// Erklärung ist damit auch nicht an sich gültig; denn die Frage ist: Wie kann ein Vernunftwe- sen sein Bewusstsein erklären?
Nun müssen wir zu Folge
der Reflexionsgesetze zu allem Bestimmten ein Bestimmbares
voraussetzen. Dies Gesetz haben wir bisher angewandt auf das Ich,
welches Objekt der Philosophie ist. Nun aber ist der Philosoph auch ein
Ich, folglich auch an dieses Gesetz gebunden. Das Ich ist sich selbst
Objekt des Bewusstseins, sonach Subjekt und Objekt. Wir wollen beides
auf einander beziehen. Zu diesem Behufe müssen wir beide auf einan- der
beziehen als bestimmbar, sonach wird uns nach den Denkgesetzen das
Ideale und Reale geschieden. Das Reale bedeutet nur das Objektive, das
Ideale nur das Subjektive im Bewusstsein.
Beides wird nun
besonders betrachtet als bestimmbar, und dieses Denken gibt uns das bloß
Intelligibele. Das Intelligible ist sonach nicht an sich, sondern etwas
für die Möglichkeit unserer Erklärung nach den Denkgeset- zen
Vorauszusetzenden. So behandelt es auch Kant, und jede andere Ansicht
wäre transzendent.
Das ursprünglich Reale
ist der reine Wille, das Bestimmbare in unseren Bestimmungen. Das Ideale
ist ein Re- flexionsvermögen, gebunden an verschiedene Gesetze, unter
anderem auch an das Gesetz, dass nur Sukzessives aufgefasst und nur diskursiv
gedacht werden kann. Das erste ist ein Vermögen, Objekt zu sein, das letztere
ein Vermögen, Subjekt zu sein; das erste ist das Vermögen, rein, das
zweite, empirisch zu sein.
Zu einer solchen
Voraussetzung kommen wir durch die Denkgesetze. Nun fand sich die
Schwierigkeit: Wie soll der reine Wille ein Mannigfaltiges für die
Reflexion werden? Es war die Antwort: Es
wird dies lediglich durch seine Beziehung auf die Beschränktheit,
welche gleichfalls ursprünglich ist. So ists auch im empirischen
Bewusst- sein. Der Wille für sich betrachtet ist nur eins. Man
unterscheidet den Willen nur durch die Objekte, auf die er geht, dies
ist nun hier die Beschränktheit. Die ganze Reflexion besteht in der
Vereinigung des Mannigfaltigen der Beschränktheit. Ihre Freiheit besteht //168// darin, dass der Wille darauf bezogen werden kann oder nicht; dass er auf dieses oder jenes bezogen werden kann.
Aber in wiefern ich beschränkt bin, bin ich irgend etwas nicht, was ich
aber nicht bin, das ist für mich nicht da. Nun aber liegt die
Beschränktheit außer mir; wie werde ich mir nun ihrer bewusst? Antwort: Sie
liegt nur zum Teil außer mir. Äußerlich bin ich beschränkt, aber nicht
innerlich, meine äußere Beschränktheit ahme ich inner- lich nach.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 166f.
Nota I. - Zunächt
einmal: 'Diskursiv', das heute in verschiedenster Bedeutung gebraucht
wird, verwendet er als bestimmtes Korrelat zu 'sukzessiv'. Da wir kein
Ganzes, sondern immer nur Teile auffassen können, und zwar eines nach
dem andern, können wir sie nur denken, indem wir in unserer Vorstellung
eines nach dem andern, in der Zeit, wieder aneinanderfügen.
Dies nennt er ein Denkgesetz.
Ein
Denkgesetz sei auch, dass wir zu jedem Bestimmten ein Bestimmbares
denken müssen. Ein 'Gesetz' soll das sein? Es ist lediglich eine
Explizitierung dessen, was im Verb 'bestimmen' vorgestellt wurde. Das Vorgestellte ist als Ganzes Eins, ein Singulum, und als ein solches kann darüber keine Aussage gemacht werden (de singularibus non est scientia), man muss es in sich selbst unterscheiden, um es dar stellen zu können; die 'Teile' nach einander wieder zu- sammensetzen.
Das Vor gestellte ist das Gemeinte. Gemeint wird die Handlung des Bestimmens. Überhaupt jeder 'Begriff' ist le- diglich eine solche Handlung, die als Ruhe gedacht wird. Als Handlung 'hat' sie aber - denn das ist das im Bild der Handlung Gemeinte - wenigstens diese drei 'Teile': S p dass q.
'Gesetz'
ist daran, dass man aus einem Gehalt nur herausholen kann, was er
enthält - in transzendentalem Sinn: was man hineingetan hat. Es ist das
Verhältnis von realer und idealer Tätigkeit.
28. 1. 17
Nota II. - Das ist wieder das kitzliche Thema Denkgesetz. Es ist das verbleibende Mysterium der Wissenschafts- lehre, nämlich das Paradox der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, absolut anzufangen. Doch kaum hat das Denken angefangen, erweist es sich als in allerlei Gesetze verfangen. Das wäre nur so zu verstehen, dass jeder Schritt, den es wirklich tut, von nun an in Ewigkeit gültig ist und auch von der absolut freien Reflexion im Nachhinein nicht revidiert werden kann. Und so würde Schritt für Schritt ein Denkgesetz aus dem andern hevorgehen.
Doch immer wieder finden sich bei Fichte Stellen, aus denen herausklingt, dass der letzte Zweck der Vernunft der vernünftigen Tätigkeit vorgegeben sei. Dies Schwanken hat seine Wurzel in einer vorwissenschaftlichen romantischen Grundanschauung, die gar nicht in die Philosophie gehört, sondern in Fichtes Lebensbeschrei- bung. Wer sich heute der Wissenschaftslehre zuwendet, lässt sie füglich außer Acht.
Damit ist das Schwanken behoben, nicht aber das Pardox: die fortschreitend sich fesselnde Freiheit - die aber doch eine unendliche bleiben soll.
Zurück auf Anfang: Die Wissenschaftslehre soll sein die Vollendung der Kant'schen Vernunftkritik; soll erhel- len, wie, nämlich aus welchem Rechtsgrund Vernunft im 18. Jahrhundert ihren Herrschaftsanspruch erhebt. So weit die Transzendentalphilosophie ihre Abstraktionen auch immer treibt: Ihr Gegenstand ist die historische Realität. Was bei Fichte die 'Reihe vernünftiger Wesen' ist, ist in der Wirklichkeit das Modell der bürgerlichen Gesellschaft, in der die Gelehrten den öffentlich Ton angeben. In der Wissenschaftslehre erscheint die Reihe vernünftiger Wesen an einer Stelle dem Ich vorgegeben, von ihnen geht die Aufforderung zur Selbstbestimmung alias Vernunft allererst aus.
Was Vernunft in specie ist, nämlich nach welchen Regeln sie verfährt, finde ich als gegeben vor. Es ist (reell) eine lange Geschichte zweckmäßiger Wechselwirkungen. Vernünftig werde ich handeln, indem ich dieser pro- zessierenden Wechselwirkung beitrete, denn nur in der Welt der Reihe vernünftiger Wesen, der intelligiblen Welt, kann ich vernunftgemäß wirken. Vernunft ist selber keine Denkweise, sondern eine Weise des Handelns in der Welt.
Das Forstschreiten der Vernunft ist das Fortschreiten in der gemeinsamen Bestimmung des Unbestimmten, das Medium der Bestimmung ist der Zweckbegriff. Vernünftig ist eine Welt, in der die Zweckbegriffe fortschreitend vergemein- schaftet werden. Das geschieht reell nicht durch Deliberation, sondern praktisch durch gemeinsames Handeln. Allgemein geltend sind diejenigen Bestimmungen, die gemeinsames Handeln ermöglichen, und das ist eine Sache der Erfahrung und nicht (erst) der Reflexion. Erfahrung geschieht durch Widerstand; auch durch den Widerstand anderer vernünftiger Wesen.
Das gemeinsame Bestimmen der Zweckbegriffe ist zugleich die fortschreitende Selbstbestimmung der Reihe vernünftiger Wesen. Da die Bestimmung der Zwecke in der Welt ins unendliche geht, tut es die Selbstbestim- mung der Reihe vernünftiger Wesen. Sie ist die treibende Kraft. Ihr Treibstoff ist die Reflexion, die frei und unendlich ist. Zum Wesen der Vernunft gehört Kritik.
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